Der Fürst des Nebels: Roman (German Edition) by Zafón Carlos Ruiz

Der Fürst des Nebels: Roman (German Edition) by Zafón Carlos Ruiz

Autor:Zafón, Carlos Ruiz [Zafón, Carlos Ruiz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104006482
Herausgeber: S.Fischer Verlage
veröffentlicht: 2010-03-09T23:00:00+00:00


»Victor, mein guter Freund«, wisperte Cain. »Wäre ich nicht Wahrsager, ich würde annehmen, das Schicksal wolle unsere Wege erneut zusammenführen.«

»Wer sind Sie?«, gelang es dem jungen Victor zu fragen, während er aus dem Augenwinkel diese unheimliche Frau beobachtete, die sich in die Schatten des Raums zurückgezogen hatte.

»Doktor Cain. Steht auf dem Schild«, antwortete Cain. »Amüsierst du dich mit deiner Familie?«

Victor schluckte, dann nickte er.

»Das ist gut«, sprach der Magier weiter. »Mit der Zerstreuung ist es wie mit dem Laudanum: Sie erhebt uns über Elend und Leid, wenn auch nur für kurze Zeit.«

»Ich weiß nicht, was Laudanum ist«, erwiderte Victor.

»Eine Droge, mein Junge«, antwortete Cain träge und blickte zu einer Uhr, die auf einem Regal zu seiner Rechten stand.

Victor kam es vor, als liefen die Zeiger rückwärts.

»Die Zeit existiert nicht, deshalb darf man sie nicht verschwenden. Hast du schon über deinen Wunsch nachgedacht?«

»Ich habe keinen Wunsch«, antwortete Victor.

Cain begann zu lachen.

»Komm schon. Wir alle haben nicht nur einen, sondern Hunderte von Wünschen. Und nur selten gibt uns das Leben Gelegenheit, sie wahrzumachen.« Cain sah mit mitleidiger Miene zu der geheimnisvollen Frau. »Nicht wahr, meine Liebe?«

Die Frau gab keine Antwort. Es schien fast so, als wäre sie aus Holz gemacht und unfähig, sich zu bewegen.

»Aber manche Menschen haben Glück«, sagte Cain und beugte sich über den Tisch. »So wie du. Du kannst deine Träume wahr werden lassen. Und du weißt, wie.«

»So wie Angus?«, brach es aus Victor hervor, dem in diesem Augenblick ein sonderbares Detail auffiel, das ihm nicht mehr aus dem Sinn ging: Cain blinzelte nicht. Nicht ein einziges Mal.

»Ein Unfall, mein Freund. Ein bedauerlicher Unfall«, bemerkte Cain in betroffenem Ton. »Es ist ein Irrtum zu glauben, Wünsche könnten wahr werden, ohne dass man eine Gegenleistung dafür erbringt. Findest du nicht, Victor? Sagen wir so, es wäre nicht gerecht. Angus wollte sich nicht an gewisse Vereinbarungen halten, und das ist nicht hinnehmbar. Aber vorbei ist vorbei. Sprechen wir über die Zukunft. Deine Zukunft.«

»Haben Sie das auch gemacht?«, fragte Victor. »Sich einen Wunsch verwirklicht, indem Sie zu dem wurden, der Sie heute sind? Was mussten Sie dafür tun?«

Cains Schlangenlächeln erlosch, und er starrte Victor Kray an. Der Junge fürchtete einen Augenblick lang, der Mann werde sich auf ihn stürzen und ihn in Stücke reißen. Doch schließlich lächelte Cain wieder und seufzte.

»Ein intelligenter Bursche. Das gefällt mir, Victor. Aber du musst noch viel lernen. Komm wieder, wenn du so weit bist. Du weißt ja, wie du mich findest. Ich hoffe, dich bald wiederzusehen.«

»Das bezweifle ich«, entgegnete Victor, während er aufstand und zum Ausgang ging.

Wie eine hingesunkene Marionette, an deren Fäden plötzlich jemand zog, setzte sich die Frau in Bewegung, als wollte sie ihn hinausgeleiten. Einige Schritte vor dem Ausgang ertönte erneut Cains Stimme hinter seinem Rücken.

»Eine Sache noch, Victor. Was die Wünsche betrifft. Denk darüber nach. Das Angebot steht. Falls du nicht interessiert bist, hegt ja vielleicht jemand aus deiner wunderbaren glücklichen Familie einen abgründigen, verborgenen Wunsch. Die sind nämlich meine Spezialität …«

Victor gab keine Antwort und trat wieder in die kühle Nachtluft hinaus.



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